Wenn der Opa vor dem Kreißsaal steht

Über ein Geburtstrauma der anderen Art

Endlich ist sie da! Nach Monaten voller Schlafentzug in der Schwangerschaft, weil meine Blase etwa die Größe eines Tischtennisballes angenommen hatte und ich schon einen Vorgeschmack auf das gewonnen habe, was uns nun mit Kind bevorsteht, habe ich es endlich geschafft. 18:03 Uhr, unsere Tochter ist auf der Welt.

Während mein Mann schlummerte wie ein Baby, als bei mir morgens um 5 Uhr die Wehen einsetzen, wusste ich mit vollkommener Sicherheit: Heute ist es endlich so weit. 

Ich habe Daniel absichtlich schlafen lassen, denn wer wusste schon, wie ich ihn noch anschreien, seine Hand zerquetschen und ihn trotz allem panisch davon abhalten würde, vom Kopfende meines Bettes zu weichen, weil ich mir immerhin noch einen klitzekleinen Rest Würde erhalten wollte.

(Laut seiner Aussage im Nachhinein habe ich ihn weder angeschrien noch allzu sehr seine Hände zerquetscht… kann aber auch sein, dass bei dieser Aussage seinerseits die Hormone einsetzten.)

Geburtsvorbereitungskurs als Paar: Desillusionierung für beide ist wichtig!

Durch den Geburtsvorbereitungskurs, den wir als Paar absolviert hatten, waren wir schon auf vieles in der Theorie vorbereitet, was den Prozess der Geburt, alle Eventualitäten währenddessen und auch danach angeht. Und ich empfehle den Männern, die sich hierher verirrt haben, ausdrücklich, einen solchen Kurs beim ersten Kind mitzumachen, denn: lasst euch lieber vorab desillusionieren als „in action“. Jaaa – ihr werdet Spaß beim Probe-Stöhnen haben und keiner kann sich da richtig zusammenreißen. Aber die Mutter eures Kindes wird euch dennoch danken. Für ein wenig mehr Verständnis, wenn es Ernst wird und für, sagen wir mal, zumindest moralische Unterstützung.

Aber zurück zum Thema Trauma: Das Zauberwort in vielen Fällen, wenn der Schmerz zu arg wird, besteht aus drei handlichen Buchstaben: PDA. Damit lief es weitestgehend schmerzfrei, komplikationslos und die Geburt ging „schnell“ über die Bühne. Soll heißen, wir waren um 11 Uhr im Krankenhaus, gegen 15:30 Uhr etwa bekam ich die PDA und keine drei Stunden später war es vollbracht.

„Hä, wo ist jetzt das Trauma?“

…werdet ihr fragen. Tja, das Geburtstrauma begann ca. 30 Minuten später und hörte erst rund 24 Stunden später wieder auf (mit Nachwirkungen bis heute).

Wie wir da so gefühlsduselig im Kreißsaal unsere Tochter im Arm hielten und anschmachteten – sie war noch nicht mal gewogen und gemessen, geschweige denn war hinter uns saubergemacht worden – hörten wir plötzlich Stimmen vom Flur. Eine hatte Daniel selbst durch die geschlossene Tür erkannt: Sein Vater!

Ääääh – wie bitte?! Wie kommt der auf diesen Flur, der doch laut der Hebamme quasi der Hochsicherheitstrakt schlechthin ist? Während der Geburtsanmeldung vor ein paar Wochen haben wir die Geschichte noch belächelt, von der sie uns erzählte: Damals habe der stolze Vater einer südländischen Großfamilie seinen neuesten Spross der Mutter kurz nach der Niederkunft entreißen wollen, um sie den ca. 10 wartenden Verwandten auf dem Flur zeigen zu wollen. Das wussten die resoluten Hebammen jedoch zu verhindern, deren wichtigste Anliegen die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mütter und ihrer Kinder sind.

Auch ich wurde letztlich nicht behelligt, aber erst, nachdem mein Mann – für mich gefühlt eine halbe Stunde – außerhalb des Kreißsaals auf ihn eingeredet hat. Während er daran gearbeitet hat, unsere Privatsphäre und diese tolle Kennenlernphase zu dritt zu schützen, habe ich die Hebamme davon abhalten müssen, unsere Tochter ohne ihn zu wiegen und zu messen.

Der lauernde Großvater

Da wir eine Nacht im Krankenhaus verbracht haben – der Plan war ursprünglich, direkt wieder nach Hause zu gehen, da es mittlerweile Mitternacht war, hatten wir das aber verworfen – wollten wir am nächsten Morgen frühzeitig entlassen werden, um es uns zu Hause gemütlich zu machen. Noch bevor wir uns überhaupt um die Formalitäten kümmern konnten, kam eine irritierte Hebamme mit der Nachricht in unser Familienzimmer, dass sich ein netter älterer Herr für einen Besuch eingefunden hat. Da es allerdings noch vor der allgemeinen Besuchszeit war, hat sie ihn nicht direkt mitgebracht. Wir waren heilfroh darüber und baten sie, ihn wegzuschicken. Ich war in vielfacher Hinsicht immer noch nicht bereit für diese Art von Überfall.

Man muss sich nur einmal vorstellen: Vor nicht einmal 15 Stunden war ein vollständiger Mensch aus mir herausgekommen. Ich fühle mich überwältigt von Hormonen, habe zig Gefühle gleichzeitig, bin körperlich erschöpft wie nach einem Marathon und nebenbei noch nicht einmal geduscht (liebe Herren der Schöpfung – eine Geburt ist alles, nur nicht sauber).

Doch auch bei der Ankunft Zuhause sahen wir das geparkte Opa-Auto am Straßenrand. Ja, ist man denn hier gar nicht mehr für sich?! – Den Eklat hier auszuführen, erspare ich euch…

Konsequenzen für die nächste Geburt

Unser Learning für das nächste Kind war: Wir geben die Geburt erst bekannt, wenn wir bereit für Besuch sind. Und das war bei unserem Sohn nach zwei vollen Tagen voller Ruhe und Frieden zu viert.

Die Entschuldigung

Die Entschuldigung kam per Whatsapp. Mit dem Wortlaut „Entschuldigung“ – Zitat Ende. Nun ja, immerhin hat er noch ein Rosen-Emoticon dahinter eingefügt. Ich denke, damit muss ich mich zufrieden geben.

Die Würdigung des Enkels: Ende gut, alles gut…?

Ein paar Tage später haben wir dem ungeduldigen Opa dann doch noch einen offiziellen Besucher-Slot zugewiesen. 

Nun! Endlich! Das erste Enkelkind hielt er im Arm. Stilecht mit extra gekauftem Opa-Rocker-Shirt. Und… ja, was war das auf seinem Unterarm?!

Völlig verdattert frage ich, „Bist du tätowiert?!“, als ich die Schreibschrift auf dem Arm meines Schwiegervaters entdecke. Mein Mann hält das in diesem Moment noch für einen Scherz – aber tatsächlich: Kurz unter dem Ellenbogen steht auf dem Unterarm seines 71-jährigen Vaters in geschwungenen Lettern der Name unserer Tochter: Carolina.

Hätte er das schon früher gehabt, hätte man meinen können, es sei eine seiner verflossenen Liebschaften. Aber da sein jüngerer Sohn und wir mittlerweile insgesamt drei Enkelkinder produziert haben (Corona macht’s möglich), hat sich auch die Zahl der Tattoos verdreifacht. Linker Arm für unsere Nichte und alles, was seitens meiner Schwägerin noch geboren wird, rechter Arm für unsere Kinder. Wir haben nicht schlecht gestaunt.


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